Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus

Der ehemalige Neonazi Manuel Bauer hat Ende Februar für den Jahrgang 12 der Fachoberschule Technik des Bildungszentrums für Technik und Gestaltung in Oldenburg einen Vortrag zum Rechtsextremismus gehalten.
Die anschließenden Meinungen dazu waren geteilt.
Reproduktion, was ist das eigentlich? Kann Reproduktion okay sein? Darf ein ehemaliger Nazi das N-Wort in den Mund nehmen, uns die Rassenlehren und Evolutionstheorien der Nazis anhand rassistischer Bilder erklären? Was macht das mit uns, wenn wir hochwertig produzierte Werbefilme der Neonazis sehen? Wie wirken diese Bilder auf uns? Und vor allem auf unsere Schüler*innen?
Ein Aussteiger, ein ehemaliger ranghoher Kopf der rechten Szene spricht vor mehreren Klassen. Darf Schule so einem Menschen die Plattform bieten über rechte Ideologien und Propaganda aufzuklären?
Die Antwort ist nicht einfach. Denn schafft es ein Mensch, der die wahrscheinlich prägendsten Jahre seines Lebens in der rechten Szene steckte sich von ihren Werten zu distanzieren? Kann er, der aus ideologischer Überzeugung handelte, von dieser 15 Jahre lang (im Alter von 11 bis 27 Jahren) vertretenen Weltanschauung Abstand nehmen und eine 180 Grad Wendung in seinen Grundüberzeugungen vollführen?
In der Forschung wird oft die Ansicht vertreten, es dauert etwa doppelt so lange ideologisch raus zu kommen, wie man drinsteckte. Diese Zeit hat M.Bauer hinter sich gebracht. Hat er es geschafft? Nimmt man ihm ab, dass er nicht mehr an sog. „Menschrassen“ und „Untermenschen“ glaubt? Glauben wir ihm, dass er raus ist, wenn er seine damalige rechtspopulistische Sprache, aus stilistischen Gründen wählt und von „Deutschen“ und „Juden“ als Gegensatz spricht? Ist er wirklich kein Nazi mehr, obwohl er vorher kaum Triggerwarnungen ausspricht?
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Meinungen sind unterschiedlich. Es gibt Skeptiker*innen, die meinen er sei noch immer Nazi, der aus seiner Vergangenheit Profit schlage. Andere überzeugt er mit seinen detaillierten, unschmeichelhaften Schilderungen eigener krimineller Vergangenheit. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, ist sich nicht zu schade erschreckend authentisch aus der Szene zu berichten, ihre
Organisation, ihr Vorkommen, ihrer Ausdrucksformen. Er schildert auch seine Zeit im Gefängnis, seinen Ausstieg, seine lange Aufarbeitung mit EXIT, seine Verfolgungsangst.
Er ist Experte auf dem Gebiet der rechten Szene, er arbeitet mit der Polizei zusammen und setzte sich seit über zehn Jahren ein gegen Rechts. Er arbeitet mit Jugendlichen und mit Aussteigern (in spe). Er klappert Schulen ab, gibt Interviews und hält Vorträge. Er will seine Schuld wiedergutmachen. Dennoch, er hat keine Namen der Mittäter verraten. Er war dabei (nicht beteiligt), als es bei Anschlägen auf sog. Feinde Tote gab, er hat einen Schwulen entführt und ein Kind „handlungsunfähig“ gemacht, er ist einer Hochschwangeren in den Bauch gesprungen und hat, obwohl er weiß, dass Kind und Mutter überlebt haben, nie Kontakt zu ihnen aufgenommen. Kann er diese Schuld wieder gut machen? Wer soll ihn entschuldigen? An manchen Tagen kann M. Bauer sich selbst nicht in die Augen schauen. Dann entscheidet er nach vorn zu blicken und seine Geschichte zu erzählen.
Seine eigene Geschichte. Die Geschichte seiner Kindheit und Jugend in der ehemaligen DDR, dem Mauerfall, seinem Werdegang und seinen Straftaten in der rechten Szene. Er berichtet von sich selbst. Er breitet keine trockene Theorie aus. Er nennt die Dinge beim Namen und steht dafür gerade, als Mensch.
Und die Schüler*innen? Die folgen seinem Vortrag zwei Stunden lang in konzentrierter Stille. Ein Mensch spricht von sich selbst zu ihnen. Er erzählt seine fesselnde Geschichte, sie ist schrecklich, abschreckend, scheußlich und hart. Sie wirft Fragen auf. Fragen, denen M. Bauer sich stellt und die er beantwortet. Informative, private, unbequeme und ehrliche Fragen. Fragen, die gestellt werden müssen, sollen und dürfen. Fragen, die die Schüler*innen bewegen. Der Vortrag von M. Bauer, man mag ihn nun gut oder schlecht gefunden haben, hat die Schüler*innen angesprochen und bewegt. Sie waren berührt. Sie haben sich näher mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandergesetzt und wurden ermutigt Stellung zu beziehen, Haltung einzunehmen.
Doch reicht das, damit die Schüler*innen den nächsten Nazi-Sticker nicht weiterschicken, lustig finden oder ignorieren? Hat M.Bauer sie stark genug gemacht sich gegen das Wort Jude als Schimpfwort zu wenden? Kann der Vortrag sie davor schützen in rechte Kreise abzurutschen? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Es ist ein langer und mühseliger Weg. Doch es wurde wieder ein Schritt auf ihm getan.
Genauso, wie viele andere getan werden: Schüler*innen engagieren sich für Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, Kolleg*innen diskutieren mit Schüler*innen von Mensch zu Mensch über Hanau und den NSU, und Schulleitungen ermöglichen Nachbereitungsworkshops für den Jahrgang FOT 12.
Maren Sierach, Oldenburg, 26. Februar 2020